Wie gehe ich mit meinen Gedanken um? – Teil 1

In der Kognitiven (gedanklichen) Verhaltenstherapie sind, wie der Name bereits andeutet, die Gedanken ein zentrales Thema. Deswegen gibt es auch unzählige Techniken, die uns helfen sollen, den Umgang mit den Gedanken flexibler und einfacher zu gestalten. Hierbei geht es nicht darum „das Denken abzustellen“. Vielmehr sollen uns diese Techniken helfen einen funktionaleren Umgang mit unseren Gedanken zu erlernen, damit wir nicht in „Grübelspiralen“ oder „Sorgenketten“ festgehalten werden.

Häufig tritt in der Therapie die Frage auf: „Wie kann ich meine Gedanken abstellen?“ oder „Gibt es einen Knopf um das Kopfkino zu beenden?“ Dieser „Abstellschalter“ ist mitunter schwer zu finden und meist scheitern die Versuche die eigenen Gedanken zu stoppen oder zu kontrollieren.
Folgendes Beispiel illustriert dieses Prinzip sehr deutlich: Denken sie bitte nicht an weiße Eisbären! Unter keinen Umständen an weiße Eisbären denken! Während Sie dieses kleine Gedankenexperiment durchführen werden Sie vielleicht merken, dass Sie sich die Gedanken an die Eisbären nicht verbieten können und allein der Satz „Denke nicht an weiße Eisbären“ bereits ein Bild von den Eisbären oder einen Gedanken an Eisbären nach sich zieht. Deswegen scheitert dieses gedankliche Verbieten so oft.
Wenn wir uns beispielsweise sagen „ich möchte nicht an die Arbeit denken“ ist das Thema Arbeit automatisch in ihrem inneren Speicher aktiviert und Sie beschäftigen sich damit. Vielleicht gelingt es streckenweise belastende Gedanken und Themen zu verdrängen, z. B. durch Ablenkung. Doch in Ruhesituationen, im Traum oder beim nächtlichen Grübeln kommen diese Themen dann wieder hoch. In der Traumatherapie benutzen wir dafür die Metapher des Wasserballs. Einen mit Luft gefüllten Wasserball unter Wasser zu drücken kostet sehr viel Kraft, doch irgendwann schießt der Wasserball mit voller Wucht an die Oberfläche. Genauso kostet uns das Unterdrücken von belastenden Gedanken und Erinnerungen viel Kraft, wobei diese unterdrückten Inhalte meist in Ruhesituationen oder auch in Träumen „wieder an die Oberfläche“ kommen.
Aus diesem Grund lässt sich sagen, dass das Unterdrücken bzw. das Kontrollierenwollen von Gedanken uns nur eine kurzfristige Erleichterung verschafft, uns jedoch langfristig wenig bringt.

Aus diesem Grund möchte ich hier einige Techniken und Hilfsmittel vorstellen, die leicht zu erlernen sind und die sich mit ein bisschen Übung in unseren Alltag integrieren lassen:

Die 3 – 2 – 1 Übung:
Wenn sie merken, dass Sie in „Gedanken gefangen“ sind bzw. Gedanken sehr aufdringlich sind, dann versuchen Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Sinne zu lenken, indem Sie laut folgende Dinge benennen:

  • 3 Dinge, die Sie im Hier-und-Jetzt sehen
  • 3 Dinge, die Sie im Hier-und-Jetzt hören
  • 3 Dinge, die Sie im Hier-und-Jetzt spüren oder erfühlen

Dies könnte z. B. so aussehen: Ich sehe diese Pflanze, das Bild und meine Kaffeetasse, höre den Kühlschrank, Stimmen von draußen und die Musik im Radio und spüre den Kontakt mit meiner Rückenlehne, meine Kleidung und meine Uhr am Handgelenk. Dann kommt die zweite Runde:

  • 2 Dinge, die Sie im Hier-und-Jetzt sehen
  • 2 Dinge, die Sie im Hier-und-Jetzt hören
  • 2 Dinge, die Sie im Hier-und-Jetzt spüren oder erfühlen

Auch in der zweiten Runde ihre Eindrücke genau benennen. Wenn Sie Dinge zweimal benennen, dann macht das nichts. Denn allein die Beschäftigung mit den Sinnen hilft Ihnen flexibler mit ihrer Aufmerksamkeit umzugehen. Und nun die letzte Runde:

  • 1 Sache, die Sie im Hier-und-Jetzt sehen
  • 1 Sache, die Sie im Hier-und-Jetzt hören
  • 1 Sache, die Sie im Hier-und-Jetzt spüren oder erfühlen

Nach diesen 3 Runden ist es meist so, dass der belastende Gedanke nicht mehr so stark im Vordergrund ist und Sie einen Ausstieg aus ihren Gedanken erreicht haben. Wenn Gedanken besonders aufdringlich sind, lässt sich diese Übung auch noch in die 5-4-3-2-1-Übung erweitern, sodass Sie einfach 5 Dinge benennen, die sie sehen, hören, spüren usw..
Wenn Sie sich ein wenig damit vertraut gemacht haben, können Sie im zweiten Schritt die Dinge nicht mehr laut benennen, sondern einfach gedanklich aufzählen. So lässt sich diese Übung leicht in ihren Alltag integrieren und auch während ihrer Arbeit und während ihrer Freizeit anwenden.

Wie funktioniert die 3-2-1-Übung nun? Ein wesentlicher Punkt besteht darin, dass wir unsere Aufmerksamkeit flexibel lenken können und zwar weg von den inneren Erlebnissen hin zu äußeren Reizen. Wir Psychologen stellen uns unsere Aufmerksamkeit manchmal wie ein Scheinwerfer vor. Dieser Scheinwerfer kann breit oder schmal eingestellt sein. Zudem kann dieser Scheinwerfer auf unsere inneren Erlebnisse wie Gefühle, Gedanken, Körperreaktionen gerichtet sein (internale Aufmerksamkeit), aber auch auf äußere Eindrücke (externale Aufmerksamkeit). Indem wir üben, den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit regelmäßig „von innen nach außen“ zu richten, gelingt uns allmählich ein flexibler Umgang damit. Auch die nächste Übung arbeitet mit Aufmerksamkeitslenkung:

Skills-Training:
Das Skills-Training finden wir vor allem in der Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha M. Linehan, welches für die Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt wurde. Jedoch können diese Skills (Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten) jedem helfen, von belastenden Gedanken auszusteigen und die körperliche Anspannung zu senken ohne uns selbst zu gefährden. Auch hierbei arbeiten wir mit verschiedenen Sinnesreizen und versuchen uns dadurch im Hier-und-Jetzt zu verankern.
Schauen wir uns mal ein Beispiel hierzu an: Herr P. ist in hoher innere Anspannung (Wert 8 bei einer Skala von 1-10), da er seit mehreren Stunden über ein Thema nachgrübelt und keinen Weg herausfindet. Nun fallen ihm plötzlich seine Skills ein und er versucht erstmal die Arme unter kaltes Wasser zu tauchen (fühlen) bzw. ein Gummiband gegen das Armgelenk zu schnalzen (fühlen). Dies senkt seine Anspannung jedoch nur leicht (Wert 7). Er erinnert sich aber an stärkere Skills und riecht an seinem Lieblingsduft, einer Flasche mit Lavendelöl. Zuletzt versucht er einen noch stärkeren Reiz indem er auf eine Chilischote beißt (schmecken), was seine Anspannung auf einen Wert von 3-4 sinken lässt.

Das Beispiel verdeutlicht, dass es manchmal mehrere Anläufe braucht, bis wir den gewünschten Effekt haben. Dies hängt auch damit zusammen, „was für ein Typ wir sind“. Wenn Sie z. B. eher ein auditiver Typ sind, der sehr feinfühlig für Geräusche ist, dann können vielleicht eher akustische Reize hilfreich sein (z. B. Musik, die der Stimmung entgegenwirkt). Experimentieren sie einfach mal mit verschiedenen Skills und schauen Sie, welche bei Ihnen funktionieren. Es ist empfehlenswert mehrere Skills immer griffbereit zu haben (z. B. in der Handtasche) um in Anspannungssituationen sofort reagieren zu können. Folgende Liste zeigt eine kleine (nicht vollständige) Auswahl:

  • Gummiband gegen das Armgelenk schnalzen (fühlen)
  • Hände oder Füße in kaltes Wasser oder auf eine kalte Oberfläche stellen (fühlen)
  • Ein Center Shock Kaugummi (saures Kaugummi) bzw. eine Chilischote essen (schmecken)
  • An einem Düftöl oder auch an einem Ammoniakstick (gibt es in der Apotheke) riechen
  • „Eisspray für Sportler“ auf die Haut sprüen
  • Musik hören, welche der Stimmung entgegenwirkt

Gerne können Sie sich auch eigene Skills ausdenken und damit experimentieren. Hierbei ist wichtig zu schauen, dass die Reize ausreichend stark sind, Sie sich aber in keinem Fall verletzten oder körperlich schädigen.

Natürlich sind all diese Techniken eher kurzfristig hilfreich und für den Einsatz in Krisensituationen gedacht.

Im zweiten Schritt ist es nun wichtig langfristige Techniken aufzubauen. Diese werde ich (bald) im nächsten Teil beschreiben:

Umgang mit Gedanken (Teil 2)